Gründer der Brandenburgischen Sommerkonzerte feiert Geburtstag

Tagesspiegel am 29.07.2022 - Elisabeth Binder / Foto: Doris Spiekermann-Klaas

Als die Mauer fiel und West-Berlin plötzlich keine Insel mehr war, gab es an politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen keinen Mangel. Ein Mann widmete sich einer wesentlichen Frage: Wie bringt man die Menschen zusammen? Wie bringt man Berliner und Brandenburger miteinander ins Gespräch? Der West-Berliner Werner Martin fand die Antwort in der Musik. Er gründete vor mehr als 30 Jahren die Brandenburgischen Sommerkonzerte.

Aufgewachsen als musikbegabter Pfarrerssohn in Brandenburg, hatte er schöne Kindheitserinnerungen mitgebracht nach West-Berlin, die Stadt, in der er seit 1969 Karriere als Rechtsanwalt machte. Am Samstag wird Martin Werner 80 Jahre alt, und er feiert seinen Geburtstag unter anderem in der Paris Bar, im Humboldt Forum und im Berliner Dom – dort treten just an seinem Geburtstag Regensburger Domspatzen auf.

Besonders in Erinnerung geblieben sein dürften vielen Gästen der Landpartien die nächtlichen Fahrten zurück in die Stadt. Da schien der Mond rund und voll auf Felder, die gesäumt waren von roten und blauen und weißen Blumen. Storchennester, gelbe Rapsfelder und kleine Dörfer zogen in der Dämmerung vorbei. Im Kopf klangen vielleicht noch die Melodien von Schubert oder Mozart nach, aufgeführt von Künstlern in teils verwunschen wirkenden Dorfkirchen. Vorher lockten die Kaffeetafel mit Blechkuchen in einen Pfarrgarten, danach gab’s Bier zum Abendliedersingen.

Dass solche Ausflüge und Begegnungen schon kurz nach dem Fall der Mauer unkompliziert möglich waren, ist Werner Martin zu verdanken. Der Jubilar kann auf ein ereignisreiche Leben zurückblicken. Schon als Junge war er ein begeisterter Chorsänger, wurde später selbst Vater von fünf Kindern. So viele Erinnerungen an die Ausflüge in der eigenen Kindheit zum Kloster Chorin mit Kuchenpicknick, Schwimmen im See, gemeinsamem Singen hatten die Sehnsucht immer wach gehalten, so etwas noch einmal zu erleben.

Immer wieder schaffte er es, seine Netzwerke zu aktivieren, um zum Beispiel Sponsoren zu finden für den Transport mit Bussen, die Bierstände, die ganze Infrastruktur der Brandenburgischen Sommerkonzerte. Das begann gern mit einem Treffen in der Paris Bar unter dem Motto: Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass wir ein gutes Glas Wein miteinander trinken.

Gelungene Bürgerinitiative

Seit dem ersten Musikerlebnis 1990 im Freundeskreis im Kloster Chorin gab es 700 Konzerte an mehr als 200 Spielorten im Land. Immer dabei sind die ehrenamtlich tätigen örtlichen Freundeskreise, die wesentlich dazu beitrugen, dass auch zwischenmenschliche Begegnungen möglich waren. Rund 800 waren es in Brandenburg bereits fünf Jahre nach der Gründung des Festivals.

Aus kleinsten Anfängen entwickelte sich über die Jahre ein großes, bedeutendes Festival, das ohne staatliche Gelder auskam, was von Ministerpräsidenten und Kultusministern immer wieder gelobt wurde. Manfred Stolpe (SPD) etwa sah darin eine „der schönsten, gelungensten und auch ersten Bürgerinitiativen, die dem Prozess des Zusammenwachsens Führung und Form gaben“.

Stadtführungen und Kremserfahrten

Nach dem Fall der Mauer war die Neugier der West-Berliner zwar groß, das Umland zu erkunden, allein es fehlte die Infrastruktur. Die „Klassiker auf Landpartie“ machten es möglich, dass man am Fehrbelliner Platz bequem in einen Bus steigen und nach Brandenburg fahren konnte. Konsequent kümmerte sich Werner Martin von seinem zweiten Hauptquartier, der Paris Bar, aus, dass in den teils vom Verfall bedrohten Dorfkirchen internationale Spitzenkünstler auftraten.

Zehn Prozent des Erlöses wurden für gute Zwecke an den Aufführungsorten gespendet. Davon wurden dann etwa neue Kirchenfenster bezahlt. Zum Rahmenprogramm gehörten nicht nur die berühmten Kaffeetafeln in Pfarrgärten, sondern auch Stadtführungen, Vorträge, Bootstouren und Kremserfahrten. So ist das bis heute. Manchmal kam auch, wie gerade bei der diesjährigen Saisoneröffnung in Luckau, ein historischer Zug für die An- und Abfahrt zum Einsatz.

Frau Karin fand die Steckdosen

Spiritus Rector Werner Martin saß in seinen Jahren als Vorsitzender stets in der ersten Reihe, überließ zugunsten der Musik die Reden aber den jeweiligen Ministerpräsidenten und sonstigen Würdenträgern. Im Anschluss saß er gerne noch mit den Künstlern und Vertretern der örtlichen Freundeskreise zusammen. Ohne seine besondere Persönlichkeit hätte das Festival nie so groß werden und so dauerhaft Bestand haben können.

Ein Glücksfall war, dass seine Frau Karin Erfahrung in der Hotellerie und Gastronomie hatte und nicht verzweifelte, wenn weit und breit keine Steckdose für die Kaffeemaschine zu finden war. Während sie ehrenamtlich die Geschäftsstelle leitete und sich darum kümmerte, dass die Bewirtung gut lief, begrüßte Werner Martin als Integrationsfigur die Gäste. Er war nicht nur der Gründer, der Vorsitzende und Vorantreiber, sondern auch das Gesicht der Sommerkonzerte.

Sammlung für die Glocke

Seine unerschöpflichen Vorräte an Motivationskraft halfen, Freunde, Sponsoren und Schirmherren nicht nur bei der Stange zu halten, sondern zu immer neuen Einsätzen zu beflügeln. Dass es nach seinem Rückzug aus dem operativen Geschäft holpern würde beim Übergang in eine neue Ära, war im Grunde programmiert.

Als er das 70 wurde sammelte er aus Anlass seines Geburtstags Spenden für die Glocke von St. Nikolai in Luckau. Sie wurde auf dem Marktplatz aufgestellt, dann wurden Zettel verteilt mit dem Liedtext von „Lobe den Herren“, obwohl natürlich niemand ernsthaft glaubte, dass die Leute groß mitsingen würden, da viele im Sozialismus fern von den Kirchen aufgewachsen waren. Und dann formierte sich doch dieser spontane Chor mit großer Stimmgewalt.

Unvergessen auch das erste Konzert in Polen, in Stettin, mit 1000 Berlinern und Brandenburgern, mit dem Deutschen Symphonie-Orchester und einer zünftigen Mitropa-Brot-Zeit auf der Heimfahrt im Zug. Auch coole Manager konnten sich bei den Klassikern auf Landpartie der Anziehungskraft der Idyllen kaum entziehen. Unter anderer Regie hätten die Kaffeetafeln vielleicht betulich wirken können. Aber mit den unterschwelligen Funken aus der Paris Bar taten sie es eben nicht.
 

 

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